Heiko Lickfett, norddeutsch-nüchtern, erste Langdistanz Roth vor 30 Jahren, Anmeldung noch per Postkarte, erste Schwimmeinheit bei 14 Grad Wassertemperatur ohne Neoprenanzug … Der Mann hat Nehmerqualitäten!

Und diese sollte er einmal mehr in diesem Jahr unter Beweis stellen (müssen): Heiko erlitt Anfang des Jahres eine Hirnblutung, die ihn zu einer mehrmonatigen stationären und ambulanten Rehabilitation zwang. Wie Heiko seinen Weg zurück ins Leben von nun an meistert und warum er on top gleich 2x in Quarantäne gesteckt wurde (ohne positiv getestet worden zu sein), hat er mir persönlich bei Kaffee und Streuselkuchen berichtet.

Wir Vereinsmitglieder des Triathlon Teams Düsseldorf kennen Heiko als kritischen Finanzvorstand, der das Geld zusammenhält. Er selbst beschreibt sich in seiner Rolle wie folgt:

„Mir ist es wichtig den Überblick und zumindest das Gefühl zu haben, alles unter Kontrolle zu haben. Im Freundeskreis bin ich bekannt als fleischgewordene Exceltabelle. Ich würde mich in Finanzthemen hanseatisch-konservativ beschreiben: Die schwarze Zahl muss stehen! Wir sind vereinstechnisch so gut aufgestellt, dass wir auch in finanziell angespannten Zeiten der Corona-Pandemie ohne staatliche Hilfsprogramme bestehen können. Trotzdem ist die ausgewogene Kombination von quantitativem und qualitativem Wachstum eines unserer obersten Ziele, d.h. langfristig und mit Augenmaß den Verein weiterzuentwickeln. Das betrifft alle drei Säulen, Kinder- und Jugendarbeit, Breitensport und den Leistungsbereich. Wir TTDler sind da auf einem wirklich guten Weg!“

Über Wettkämpfe machen wir uns in dieser Saison kaum noch Gedanken, außer, sie werden virtuell ausgetragen. Auch du warst für die Challenge Roth 2020 gemeldet. Während einige Triathleten nach den vielen Absagen eine erste Saisonpause einlegten, hast du in der ersten Jahreshälfte mehr angeleitete Trainingseinheiten absolviert, als die meisten anderen im gesamten Vorjahr. Was ist passiert?

„Alles kam völlig unerwartet: Ich kam leicht übermüdet von der Arbeit, trank noch einen Kaffee, um mich für die eigentlich geplante Laufrunde zum Feierabend einzustimmen. Als ich noch zwei, drei Minütchen sitzen blieb, wurde zuerst mein rechter Arm, dann auch das rechte Bein völlig taub. Ich fürchtete einen Schlaganfall und rief telefonisch – die linke Hand konnte ich kontrollieren – den Notarzt. Laufen konnte ich nicht mehr und somit nicht aufstehen, um den Türöffner für den Notarzt zu bedienen. Daher rutschte ich 42 Stufen auf meinem Hinterteil den Hausflur zur Haustüre herunter (Anmerkung der Redaktion, ohne Streuselkuchen im Mund: Der Hintern auf den Beweisbildern sah übel aus!). Glücklicherweise traf ich im Treppenhaus auf die Nachbarstocher, die mir bis zur Ankunft des Notarztes behilflich sein konnte. Erstmals schoss mir die Frage durch den Kopf, ob es dies nun gewesen sein könnte. Ein sehr beunruhigender Gedanke. Ich teilte meinem Chef vorsorglich via Kurznachricht mit, nicht am für den kommenden Tag geplanten Workshop teilnehmen zu können, aber für Anrufe zur Verfügung zu stehen – total absurd, da ich mich wenig später vollverkabelt auf der Intensivstation wiederfand.“

Wie verlief die weitere Behandlung? Was sind die geplanten nächsten Schritte?

„Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt im Unikinikum Düsseldorf, inklusiver erster Quarantäne aufgrund einer hochgradig ansteckenden Grippe (kein Corona-Virus), wurde ich nach Hilchenbach zur stationären Rehabilitation (Liegendtransport) verlegt. Dort verbrachte ich in Summe drei Monate. Weiterhin stark eingeschränkt im Bewegungsapparat fand ich mich vorerst im Rollstuhl wieder (immerhin dem Rennmodell der Station, „Keramiklager und Leichtbaukotflügel!“) und war auf fremde Hilfe angewiesen. Das Pflegepersonal half mir Schritt für Schritt wieder auf die Beine. Es gelang mir nach einiger Zeit die 5km in etwas über 60 Minuten gehend zu absolvieren. Das sind dann schon andere Maßstäbe. In meinen (un)gesunden Wettkampfmodus fand ich nach Auffassung der Ärzte auch bei der Bewertung meines Gesundheitsfortschritts schnell wieder zurück zum alten Ich: Ich verglich meine Entwicklung mit den Durchschnittswerten anderer Patienten und befürchtete unterdurchschnittliches Abschneiden. Mit dieser Einstellung heimste ich mir dann gleich eine kreative Entspannungstherapie ein, einer Art Mischung aus Meditation und Malerei (Würde manch anderem Tria auch gut bekommen 😊). Die Fortschritte stellten sich ein, auch wenn eine weitere zwei wöchige Quarantäne in Hilchenbach auf mich wartete, da das Pflegepersonal positive Coronatests aufwies. In dieser Zeit trainierte ich in meinem 12qm Krankenzimmer unter Selbstanleitung. Unsere Haus- und Hof-Osteopathin Julia und Geheim-Allzweck-Waffe Alex J. versorgten mich mit selbst gedrehten Therapievideos (1000 Dank noch einmal!). Das Pflegepersonal in Hilchenbach, welches mich aufgrund der Quarantäne zwischenzeitlich nicht behandeln durfte, war begeistert von den Beiden und ihren Hinweisen. Unter anderem wurde mir ein Parcour im Zimmer zur Verfügung gestellt, welchen ich in mein tägliches Bewegungstraining einbaute.

Nach mehreren Reha-Verlängerungen wurde ich entlassen. Ich hoffe, dass die erneute Änderung meines Umfeldes, Richtung heimischer Wohnung, einen neuen Stimulus auslöst und die Genesung so weiter vorantreibt. Nach wilden ersten Stolpereien werde ich es vermutlich in diesem Jahr zuerst aufs Rennrad schaffen. Die Koordination auf dem Rad ist gegenüber dem Laufen bei meinem Krankheitsbild leichter zu bewältigen. Radfahren macht mir einfach am meisten Spaß (Anmerkung der Redaktion: sieben Rennräder befanden sich zum Interviewzeitpunkt in Wohn- und Esszimmer, weitere im Kellerraum). Wenn ich zum Jahresende 400 Meter auf der Tartanbahn „rennen“ könnte, wäre das ein tolles Etappenziel. Man muss nun einfach sehen, was in Zukunft noch geht.“

Wenn ich deine Genesung mit deinem Zustand im März vergleiche und davon ausgehe, dass du weiterhin so tolle Fortschritte machst: Welche sportlichen Ziele verfolgst du in den nächsten Jahren?

„Die Wettbewerbe verstehe ich und verstand ich immer als nackten Luxus und eine tolle Nebensache. Ohne große Wehmut und demütig freue ich mich, wenn eine Wettkampfteilnahme ggf. möglich wird. In der neuen Altersklasse würde es für mich zwar nur um tageslicht-taugliches Ankommen gehen, aber das Schielen auf AK-Platzierungen werde ich sicher nicht ganz abschalten können.“

Auf welche sportlichen Highlights blickst du zurück?

„Meine erste Langdistanz absolvierte ich 1990 in Roth, dummerweise ohne Vorbereitung, aber ich habe durchgehalten.  Ich war jung und brauchte…diese Erfahrung! Außerdem bin ich einmal in der Studentenzeit 67km im Rahmen einer Staffel von Oldenburg nach Hannover gelaufen, auch ohne richtiges Lauftraining, einfach schauen, wie weit es geht. Ich schrieb mich damals aus reiner Freude für das Studienfach Sport ein, um etwas mehr Abwechslung im Unialltag zu erlangen. Total überraschend war dann viele Jahre später, 2017, auch der AK Sieg beim Rhein-Ruhr Halbmarathon. In 2016 und 2018 startete ich erneut in Roth. Die Zeiten hatten sich geändert: Die Anmeldung fand nicht mehr postalisch sondern per Internet statt, ich selbst habe mich gesteigert – Training sei Dank – und das Tragen eines Pulsgurtes war nicht wie in 1990 ein Novum.“

Ein Auszug aus Heikos Familienzeitung (ja, sowas gibt es!), Ausgabe 4.2016, verdeutlicht anschaulich den Start einer neuen Liebe in den 1980ern – der Liebe zum Triathlon, aber auch das allseits bekannte Leiden (hier in Roth 2016):

„Cola, Wasser, gesalzene Brühe, Red Bull Drink, isotonisches Zeug, Zitrone mit Salz, oder…? Irgendwie klappt das nicht. Mein Trainer meinte, um die Zeit zwischen zwei Versorgungsstationen zu überbrücken soll ich mir ein Menü vorstellen, dass auf mich wartet und auswählen. Mir ist nur schlecht, sonst nichts. Was mache ich hier, wo bin ich und warum? Die Gedanken kreisen… Rückblende in das Jahr 1987: Ich gehe mit ein paar Freunden im Raum der Sportfachschaft Uni Oldenburg das letzte Seminar durch. Heute würde man sagen, wir chillen. Die Tür geht auf, ein drahtiger Mittvierziger kommt rein. „Moin Männer, schon mal was von Triathlon gehört“ Sein Auftritt gibt zu erkennen, dass er kein Schwätzer ist. Ich bin kurz davor Haltung anzunehmen, da er mich an meinen alten Hauptfeldwebel erinnert. Triathlon, da war doch was geht es mir durch den Kopf, Hawaii, Schwimmen, Rad, Laufen unter unwirtlichen Bedingungen, echte Männer eben, nur die ganz harten kommen durch. „Wir führen am Zwischenahner Meer einen Triathlon durch“ schnarrt der Mann, „Ich erwarte, dass mindestens drei von Euch antreten“ Er dreht sich um und ist verschwunden. Das duldete ersichtlich keinen Widerspruch. Das Ergebnis: Ein paar Tage später stehen wir in Badehose zu viert am Ufer des Zwischenahner Meeres. Einer von uns, ehemaliger Bundeswehrkampfschwimmer (leider) zeigt aufs Meer und ruft: „Dahinten das Fischerboot, bis dahin und zurück!… erstmal!“ Wir springen rein, der Schock ist groß bei 14 Grad Wassertemperatur. Der Kampfschwimmer ist weg, wir japsen und versuchen zu überleben. Wir drei haben die Unterkühlung überstanden, der Kampfschwimmer konnte unsere Probleme nicht im Ansatz nachvollziehen, die Bedienung im nahen Café umso mehr. Letztendlich komme ich ein paar Wochen später bei meinem ersten Triathlon 100 Sekunden nach Mr. Kampfschwimmer ins Ziel und… fand es toll. Ein paar Jahre und doch nur 4 Kurztriathlons später sitze ich 1990 in Düsseldorf und sage mir „Warum nicht? Mal sehen wie sich das anfühlt.“, schreibe eine Karte nach Roth und melde mich schriftlich (Internet gab es noch nicht!) beim Ironman Europe an, also 3,8km Schwimmen, 180km Rad und 42km Laufen. Mit minimalem Training und jugendlichem Leichtsinn trete ich an. Es war begeisternd und eine physische Grenzerfahrung, bei fast 40 Grad vor damals 100.000 Zuschauern den Wettkampf überhaupt durchzustehen. Die Sonnenbrandspuren auf den Schultern haben ein halbes Jahr Zeugnis abgelegt.“

Was wünscht du dir für unseren geliebten Sport?

„Ich wünsche mir eine gewisse Balance zwischen technischer Weiterentwicklung des Rennequipments und gleichzeitiger Vermeidung einer teuren Materialschlacht. Die technische Entwicklung bei den Wettkampfrädern im Triathlon hat den Radsport insgesamt deutlich gepusht. Das finde ich beeindruckend. Triathlon sollte andererseits für jedermann bezahlbar sein und die Hemmschwelle für Newbies gering gehalten werden. Außerdem freue ich mich immer über nette Gespräche mit Triathleten, die sich nicht ausschließlich um Triathlon drehen.“

Holger („CEO“) und du („CFO“) wohnen Haus an Haus. Kommt es zu regelmäßigen gemeinsamen Einheiten mit Holger im Wohnzimmer auf der Isomatte?

„Unsere gemeinsamen Einheiten finden nahezu ausschließlich an der Kaffeemaschine statt. Holgers ab und an umgesetztes all-out-Mantra ist nicht so meins und würde mich jedes Mal in eine zweiwöchige Zwangspause befördern. Holger bezeichnet sich darüber hinaus als „Sekretärin des CFO“, da er unter anderem die ganzen Begrüßungsschreiben an die Neumitglieder für mich drucken musste, wobei ich mir aktuell aber einen neuen Drucker zugelegt habe. Zum Kaffee kommt er aber weiterhin. Das kann dann aber durchaus auch mal morgens um 6 Uhr sein, quasi zum Spontanmeeting.“

Wir alle wünschen dir alles alles Gute für die weitere Genesung. Deinen Lauf auf der Tartanbahn zeigen wir allen zur Weihnachtsfeier. Dein erstes Wettkampfziel für 2020 ist damit amtlich! 😉